Der Boom der künstlichen Intelligenz (KI) in den letzten Jahren hat sie zur meistdiskutierten Technologie des Jahrzehntes werden lassen. Im Nahen Osten ist die Diskussion jedoch bereits vom Potenzial zur Praxis übergegangen.
In Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) wird KI in die Grundlagen moderner Stromsysteme eingebaut. Sie unterstützt die Integration erneuerbarer Energien, optimiert die Lastflüsse und verändert die Art und Weise, wie Energie gehandelt und verbraucht wird. Die Region sieht in der KI ein wichtiges Instrument auf ihrem Weg zu Nachhaltigkeit und Diversifizierung.
Was als Experiment mit digitaler Technologie begann, hat sich zu einem koordinierten Vorstoß entwickelt, um von der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen wegzukommen und flexible, datengesteuerte Energiesysteme zu schaffen, die den wachsenden globalen Bedarf decken und gleichzeitig die Umweltbelastung begrenzen können.
Regionale Prioritäten
In Saudi-Arabien unterstützt KI wichtige Projekte im Rahmen des Programms Vision 2030 , mit dem die Region wirtschaftlich, sozial und kulturell diversifiziert werden soll.
Die Technologie wird bei Projekten wie NEOM, einer geplanten futuristischen Smart City, die die Küste des Roten Meeres im Nordwesten Saudi-Arabiens verändern soll, für die vorausschauende Wartung, die Integration erneuerbarer Energien und das intelligente Netzmanagement eingesetzt. Eine weitere Entwicklung ist Sakaka PV, das erste Solarprojekt in Saudi-Arabien, bei dem über 1,2 Millionen Paneele eingesetzt werden, um kostengünstigen Strom aus erneuerbaren Energien zu erzeugen. Ziel ist es, mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien die Effizienz zu steigern, die Betriebskosten zu senken und die Energiesicherheit zu erhöhen.
Die Vereinigten Arabischen Emirate spiegeln diese Trends mit ihrer VAE-Energiestrategie 2050, einem nachhaltigen Energiemodell, wider. Im Mohammed bin Rashid Al Maktoum Solar Park, dem weltweit größten Solarpark an einem Standort, ermöglicht KI Echtzeit-Überwachung, Vorhersage und automatisiertes Lastmanagement, um den Wartungsbedarf vorherzusagen, Ausfälle zu verhindern und die Stabilität bei schwankender Nachfrage zu gewährleisten.
Ein neues digitales Ökosystem
Digitale Technologien sind das Rückgrat dieser visionären Projekte. Regierungen in der gesamten Golfregion investieren massiv in KI-Forschung, Cloud-Infrastruktur und Rechenzentren, um Innovationen zu lokalisieren und ihre Einführung zu beschleunigen. Mindestens neun große Cloud-Anbieter sind inzwischen in der Region tätig, darunter Microsoft, AWS, Google und mehrere lokale Unternehmen.
Das in Abu Dhabi ansässige KI- und Cloud-Computing-Unternehmen G42 ist eines der bekanntesten und bietet groß angelegte Datenanalysen und Cloud-Lösungen für die Energiebranche und Versorgungsunternehmen an. Der Aufstieg von Unternehmen wie diesem verdeutlicht, wie die Region die Dateninfrastruktur zu einer Grundlage für die Modernisierung der Industrie macht.
Intelligentere Netze und schärfere Märkte
KI macht die Energienetze im gesamten Nahen Osten immer intelligenter und effizienter. Im Netzmanagement beispielsweise analysieren Algorithmen die Bedingungen in Echtzeit, prognostizieren den Bedarf und gleichen die Einspeisung erneuerbarer Energien aus, um die Stabilität zu gewährleisten. Dadurch wird die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringert, während Solar- und Windenergie zunehmen.
In der Zwischenzeit lernen KI-gesteuerte Prognosetools - die bereits im gesamten Nahen Osten im Einsatz sind - aus Wetter- und Verbrauchsdaten in Echtzeit. Sie können herkömmliche Modelle übertreffen, indem sie sich sofort an Veränderungen anpassen, Überlastungen verhindern und kostspielige Ungleichgewichte reduzieren.
In Saudi-Arabien beispielsweise verarbeiten KI-Systeme historische und aktuelle Wetter- und Verbrauchsdaten, um den Strombedarf mit bemerkenswerter Präzision vorherzusagen und so Überlastungen und kostspielige Ungleichgewichte zu vermeiden - insbesondere in solarbetriebenen Regionen wie NEOM, wo die KI die Erzeugung und Netzeinspeisung dynamisch optimiert.
In den Vereinigten Arabischen Emiraten nutzt der Mohammed bin Rashid Al Maktoum Solar Park KI zur Vorhersage der Stromerzeugung aus Photovoltaik- und konzentrierten Solarenergiequellen, während die Dubai Electricity and Water Authority (DEWA) ein automatisches intelligentes Netzwiederherstellungssystem betreibt, das durch die Kombination von Verbrauchsdaten mit modernen Wettervorhersagemodellen selbstständig Störungen erkennt und die Versorgung wiederherstellt.
Die gleichen Systeme bringen neue Präzision in den Energiehandel. Das maschinelle Lernen kann Märkte simulieren und Preis- sowie Nachfrageverschiebungen vorhersagen, was eine intelligentere und schnellere Entscheidungsfindung und ein proaktives Risikomanagement im Stromgroßhandel ermöglicht. Versorgungsunternehmen können schnell auf Volatilität reagieren und gleichzeitig Chancen in sich wandelnden Märkten erkennen.
Über den Betrieb hinaus kann KI die Dekarbonisierung unterstützen, indem sie Effizienzgewinne identifiziert, Projekte zur Kohlendioxidabscheidung steuert und Emissionen im Vergleich zu nationalen Zielen verfolgt. Einfach ausgedrückt: Energiesysteme können intelligenter, schneller und sauberer werden.
Chancen und Hindernisse: das Gleichgewicht der Ambitionen
Die Aussichten für den Einsatz von KI im Energiesektor der Golfstaaten sind gut. Die bereits erwähnte saudi-arabische Initiative "Vision 2030 " zielt darauf ab, über 300 Start-ups anzuziehen und zu fördern. DieVision 2030 und die Energiestrategie 2050 der VAE geben ebenfalls eine klare politische Richtung vor und fördern die internationale Zusammenarbeit. Diese kontinuierlichen, raschen Fortschritte bei intelligenten Netzen, der IoT-Einführung und der Integration erneuerbarer Energien werden wesentlich dazu beitragen, die Region als führend im digitalen Energiemanagement zu positionieren.
Doch trotz dieser mutigen nationalen Strategien ist die Implementierung von KI in den Energiesystemen des Nahen Ostens alles andere als einfach. Der Prozess der Integration fortschrittlicher Analysen in bestehende Infrastrukturen stellt eine Herausforderung dar, da einige Anlagen Jahrzehnte alt sein können und zusätzliche Tools benötigen, um aus den umfangreichen und weit verbreiteten Daten, die sie enthalten, einen Nutzen zu ziehen. Die Zusammenarbeit mit Spezialisten für Industriesoftware, die Plattformen, Fachwissen und Interoperabilität bereitstellen können, ist für die Überbrückung dieser Lücke unerlässlich.
Auch die Rahmenbedingungen für die Regulierung und Datenverwaltung müssen mit der raschen digitalen Expansion Schritt halten, und ein Mangel an Talenten mit KI- und Energiekenntnissen könnte die Einführung ebenfalls verzögern. Glücklicherweise reagieren die Regierungen mit koordinierten Investitionen in Cloud-Infrastruktur, KI-Ausbildung und einheitliche Regulierung. Der Bericht "Powering Possible 2025" von ADNOC und Microsoft bestätigt, dass Regionen wie die VAE sich stark für die Entwicklung des Humankapitals engagieren, Menschen mit KI-Fähigkeiten ausstatten und dass die Investitionen steigen - und damit die Voraussetzungen für moderne digitale Energiesysteme schaffen.
Ein Blick in die Zukunft
Der Nahe Osten tritt in ein neues Energiezeitalter ein, das von Digitalisierung und Dekarbonisierung angetrieben wird und in dem fortschrittliche Prognosen, vorausschauende Wartung und automatisierter Handel lernende und anpassungsfähige Energiesysteme ermöglichen. Mit kontinuierlichen Investitionen, einer soliden Regulierung und qualifizierten Arbeitskräften ist die Region in der Lage, im intelligenten Energiemanagement führend zu sein und eine wirklich widerstandsfähige Energiezukunft aufzubauen.
